Evangelische Kirchengemeinde Neureut-Kirchfeld

Predigt

Evangelischer Gottesdienst - Teil 6

Die Predigt ist das Herzstück des Evangelischen Gottesdienstes. Aufgabe der Predigt ist es einen Bibelabschnitt für uns heute sprechen zu lassen. Was will Gott heute zu uns sagen?

Auch wenn es manchmal Themenpredigten geben mag – eigentlich ist immer ein Bibelabschnitt Grundlage für die Predigt.

In reformierten Kirchen ist es üblich, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin fortlaufend über Abschnitte eines biblischen Buches predigt, so kann zum Beispiel ein Jahr lang Sonntag für Sonntag immer ein neuer Abschnitt des Markusevangeliums als Grundlage der Predigt dienen. Vorteil dieser Praxis, ist dass die Gemeinde ein Buch im Zusammenhang verstehen lernt und auch der Pfarrer oder die Pfarrerin sich nicht jeden Sonntag neu in geschichtliche Zusammenhänge und theologische Denkweise eines anderen biblischen Buches einarbeiten muss. Nachteil ist, dass es oft viel Mühe kostet, ein biblisches Buch so in Abschnitte aufzuteilen, dass diese Abschnitte auch zu den jeweiligen Sonntagen und vor allem Feiertagen passen, denn etwa an Weihnachten über einen pfingstlichen Bibelabschnitt zu predigen wäre doch recht schwierig.

So ist es in den lutherischen Kirchen üblich, dass es für jeden Sonn- und Feiertag des Kirchenjahres sechs Predigtabschnitte gibt, die zum Thema des Tages passen. In unserem Evangelischen Gesangbuch sind diese Bibelabschnitte im Liturgischen Kalender unter der Nummer 891 aufgelistet.

Da es für die sechs Predigtreihen des Liturgischen Kalenders zahlreiche gedruckte Predigthilfen gibt, halten sich die meisten Pfarrerinnen und Pfarrer unserer Landeskirche an diese Predigtreihen, obwohl die Unionsurkunde unserer Landeskirche eigentlich für jedes dritte Jahr die reformierte Praxis (jeden Sonntag einen anderen Abschnitt aus dem selben biblischen Buch) vorsieht.

Während in der katholischen Kirche Klänge, Gerüche, Farben und Schmecken zu einem ganzheitlichen Gottesdiensterlebnis beitragen, haben die Kirchen der Reformation ihren gottesdienstlichen Schwerpunkt auf die Predigt gelegt. In der Zeit der Reformation konnte die Predigt zudem als modernes Kommunikationsmittel dienen. Und bis Anfang des 20. Jahrhunderts finden sich immer wieder ganz selbstverständliche Berichte über Prediger, denen es gelang ihren Hörerinnen und Hörer eine Stunde und länger in Bann zu schlagen.

Allerdings war der Preis dafür, dass die evangelischen Kirchen einen Teil ihrer Gemeindeglieder zumindest für die Gottesdienste verloren haben. In der Reformationszeit war es für viele Bauersleute vielleicht schmeichelhaft, dass sie als Bauern so etwas Ähnliches wie Vorlesungen an der Universität zu hören bekamen und sie kamen in Scharen, um die evangelischen Prediger zu hören. Für die Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts waren dann aber die Predigten der studierten Pfarrer, die keine Ahnung von den Sorgen und Nöten der Arbeiterschicht hatten, belanglos und langweilig.

Noch heute haben wir in der evangelischen Kirche das Problem, dass Predigten ein Stück weit eine Einbahnstraße sind: Der Pfarrer spricht und die Gemeinde hört zu. Und weil Pfarrerinnen und Pfarrer nur einen ganz kleinen Teil unserer Gesellschaft repräsentieren (studiert, Latein und Griechisch gelernt, sicheres Gehalt, unkündbare Stelle, deutsche Staatsbürgerschaft als Einstellungsvoraussetzung), stellt sich immerhin die Frage, ob sie wirklich das ganze Evangelium predigen können, und vor allem, ob sie das Evangelium allen in der Gemeinde verständlich predigen können.

Seit den 1960er Jahren gab es deshalb immer wieder Versuche, den Monolog des Predigers im Gottesdienst aufzubrechen.

  • Dialogpredigten von zwei Pfarrern oder zwischen Pfarrerin und einer Person des öffentlichen Lebens bringen zwar noch nicht die ganze Gemeinde ins Spiel, machen aber deutlich, dass Christinnen und Christen zu einem Bibelabschnitt mehr als eine Meinung haben können.
  • Bibelkreise, die über den Predigtabschnitt des kommenden Sonntags sprechen, geben dem Pfarrer oder der Pfarrerin Gedanken für die Predigt mit auf den Weg, auf die er oder sie von alleine eher nicht gekommen wäre.
  • Predigtnachgespräche im Anschluss an den Gottesdienst helfen den Hörerinnen und Hörern zu einem besseren Verständnis der Predigt, geben aber auch der Predigerin oder dem Prediger wichtige Rückmeldung, was aus der Predigt wie ankam.
  • Moderne Formen der Textauslegung wie zum Beispiel der Bibliolog, bei dem alle Gemeindeglieder eine „Rolle“ aus dem Text oder der Zeit des Textes übernehmen können, beschränkt den Pfarrer auf die Rolle des Moderators und gibt die Auslegungshoheit zurück an die Gemeinde.

Eine spannende Frage bleibt es aber, wie in einer Zeit, in der sich Kommunikation rasant verändert, denn das Wort Gottes, das Evangelium weitergesagt werden soll. Ich tue mich ein wenig schwer damit, Bibelverse als Twitternachrichten, Facebook-Postings oder SMS zu verbreiten. Manchmal finde ich ja die 20 Minuten einer Predigt schon als zu knapp, um ein Stück Botschaft des Evangeliums verständlich zu vermitteln. Aber dafür gibt es ja weitere Sonntage, immer wieder neu Gottesdienste, um immer wieder ein Stück weiter zu klären, was Gott uns heute sagen will. Für Gott mögen ja manchmal auch Kurznachrichten reichen, um einen Menschen anzustoßen, sein oder ihr Leben zu verändern. Ich finde eine Predigt dafür oft recht kurz. Aber deshalb ist ja auch festzuhalten, dass es nicht der Prediger ist, sondern Gottes Geist, der einen Menschen anstößt.